Unser Leuchtturm H2-Grid – das steckt dahinter, oder besser: darin!
Herzliches Hallöle aus dem Schwabenland, da sind wir wieder. In unserem ersten Blog-Beitrag hatten wir schon erzählt, dass wir als „H2-Wandel Modellregion grüner Wasserstoff Baden-Württemberg“ einige spannende Leuchtturmprojekte unter unserem Dach haben. Eines davon heißt H2-Grid. Tja, das sagt natürlich nicht jedem/jeder auf Anhieb was, deshalb schalten wir in diesem Leuchtturm jetzt mal das Licht an. Wir haben bei Professor Thorsten Zenner nachgefragt, ob er für dieses Projekt als Leuchtturmwärter mal etwas erzählen kann. Das hat er freundlicherweise getan und dieses Interview ist dabei entstanden:
Herr Prof. Zenner, Sie sind innerhalb der Hochschule Reutlingen sozusagen der Anker oder, um im Bild zu bleiben, der Wärter für das Leuchtturmprojekt unserer „H2-Wandel Modellregion grüner Wasserstoff Baden-Württemberg“. Wir wissen natürlich schon, was hinter dem Projekt mit dem Namen H2-Grid steckt, aber unsere Leser:innen nicht. Erzählen Sie doch mal...
Seit wann beschäftigt sich die Hochschule Reutlingen mit dem Thema Wasserstoff?
Prof. Zenner: Wenn „im Anfang war der Wasserstoff“ von Hoimar von Ditfurth zählt, kommen wir auf über 45 Jahre. Aber im Ernst, einige Kollegen an der Hochschule arbeiten schon seit vielen Jahren an der Entwicklung von Kernkomponenten für die Elektrolyse, wie z. B. der Membranentwicklung. Ein Schwerpunkt an der Hochschule ist die Gestaltung der Transformation der Energiewirtschaft. Das machen wir nun schon seit 2012 an unserem Lehr- und Forschungszentrum REZ (Reutlingen Energiezentrum) und dem dazugehörigen Masterstudiengang DEE (Dezentrale Energiesysteme und Energieeffizienz), dass Wasserstoff bei diesem Transformationsprozess eine wichtige Rolle spielt, war von Anfang an klar.
Und wann ging das in die Tiefe? Prof. Zenner: Die genauere Untersuchung der Bedeutung und Möglichkeiten von Wasserstoff in dieser Transformation startete etwa 2018 mit ersten Arbeiten. Durch die Beteiligung an dem Projekt H2-Wandel konnten wir diese Aktivitäten aus dem Labormaßstab in den Realmaßstab fortführen.
Worum geht es in Ihrem Beitrag zum Projekt H2-Grid?
Prof. Zenner: In einem Satz: „Elektrolyseure netzdienlich betreiben.“
Und was bedeutet das?
Prof. Zenner: Heute ist die Energiewelt noch vergleichsweise einfach. Wenn wir mehr Strom benötigen, legen wir eine Schippe mehr Kohle im Kraftwerk auf und alles funktioniert. Wir regeln heute also im Wesentlichen die Energieerzeugung (neudeutsch Supply). Und weil die Anzahl der relevanten Kraftwerke sehr überschaubar ist, kann man diese Steuerungen zentral vornehmen.
Klingt so, als ob jetzt das große Aber kommt? Prof. Zenner: Wenn wir die erneuerbaren Energien weiter ausbauen, können wir erstens die Energieerzeugung nicht mehr einfach steuern und wir werden viele tausend kleine Energieerzeuger haben. Wir müssen in diesem Fall den Verbrauch ( neudeutsch Demand) regeln, und weil es so viele Akteure sind, wird eine zentrale Steuerung immer komplizierter. Wenn man von erneuerbaren Energien spricht, wird immer das Gespenst der „Dunkelflaute“ aus dem Schrank geholt.
… mit „Dunkelflaute“ sind die Zeiten, in denen die erneuerbaren Energien nicht genug Strom für den aktuellen Bedarf liefern, gemeint?
Prof. Zenner: Richtig, hier kann Wasserstoff als speicherbarer Energieträger einen wertvollen Beitrag leisten. Ein anderer wesentlicher Aspekt, der oft unberücksichtigt bleibt, sind aber die Zeiten, in denen zu viel erneuerbare Energie im Netz ist. Heute schalten wir die Erzeuger einfach ab und zahlen für Strom den wir gar nicht nutzen. Das kostete uns 2023 ca. 3 Mrd. Euro. Wenn wir also die Solarenergie verachtfachen und die Windenergie verfünffachen, können wir uns das nicht mehr leisten. Wir brauchen also eine Möglichkeit, diesen Überschuss ökonomisch sinnvoll zu nutzen.
Lassen Sie mich raten: Auch hier kommt Wasserstoff ins Spiel?
Prof. Zenner: So ist es. Während dieser Überschussphasen produzieren wir kostengünstigen Wasserstoff aus Strom, der sonst „weggeworfen“ worden wäre. Also ganz einfach formuliert: Wenn Überschuss im Stromnetz ist, produzieren wir aus Strom Wasserstoff - und wenn zu wenig Strom im Netz ist, produzieren wir aus Wasserstoff Strom, und das tun wir dezentral, indem wir die verschiedenen Erzeuger und Elektrolyseure direkt vernetzen, statt alles zentral zu steuern. Bei der Diskussion der Energiewende liegt der Fokus seit Jahren auf dem Stromsektor und wir übersehen, dass der Stromsektor nur 20% des Energiebedarfs ausmacht. Der Wärmebedarf ist um ein Vielfaches größer. Die Diskussion um das Gebäudeenergiegesetzt hat dieses Missverhältnis auch in der Öffentlichkeit bekannt gemacht. Auch für die anderen Sektoren spielt Wasserstoff als Koppelglied zwischen den Sektoren eine wichtige Rolle. Auch diesen Markt dezentral zu organisieren, adressieren wir in unserem Projekt.
Sie – samt der Hochschule Reutlingen – sind aber bei uns auch als Wissensvermittler schwer aktiv.
Prof. Zenner: Last but not least arbeiten wir schon seit über 10 Jahren in der Entwicklung von Lehrkonzepten für den NWT-Unterricht (letsgoing). Im Rahmen des Projektes H2-Wandel bauen wir auf diese Erfahrungen und Netzwerke auf und entwickeln Unterrichtsreihen für den NWT-Unterricht, die den Schülern die technischen Lösungen der Energiewende veranschaulichen sollen und natürlich ist auch hier Wasserstoff ein zentrales Element.
… und wer profitiert letztlich davon?
Prof. Zenner: Wir oder besser die Generation unserer Kinder. Mit dezentralen Lösungen für die Transformation unserer Energieversorgung öffnen wir Potenziale, die bei zentralen Großanlagen nicht erreichbar wären. Großkraftwerke mit vielen Megawatt Leistung sind das Geschäft der großen Energieversorger. Das ist gut und so soll es auch bleiben. Kleine dezentrale Anlagen können aber auch von anderen Akteuren aus Industrie und Gewerbebetrieben und später auch von Privatpersonen betrieben werden. In Baden-Württemberg haben wir z. B. rund 250 000 private Unternehmen. Wenn nur 10% dieser Unternehmen einen 100 kW-Elektrolyseur installieren würden ergäben sich 2,5 GW. Das wird natürlich nur passieren, wenn es „sich rechnet“ und daran arbeiten wir. Unserer Blaupause für diese Vision ist die Photovoltaik. Vor 30 Jahren lag das Heil nur in Großprojekten wie Deserttec, und Kleinanlagen galten als Liebhaberei. Heute ist Deserttec vergessen, und die Installation von Solaranlagen ist auch für Privatnutzer eine lohnende Investition mit angemessener Rendite. Wir hoffen, dass es beim Wasserstoff eine ähnliche, aber deutliche schnellere Entwicklung gibt.
Was war bisher die spannendste Erkenntnis aus Ihren Projekten?
Prof. Zenner: Die hatten wir wirklich schon bei der Antragstellung. Als wir Mitstreiter aus der Industrie für unsere Idee suchten, waren es Stadtwerke und Inhabergeführte Unternehmen, die sich trauten. Die Frage war hier nicht, was es finanziell bringt, sondern ob es gut für die Zukunft sei und ob das Unternehmen es sich leisten kann. Hier zeigte sich eine Unternehmenskultur, die nicht nur nach dem Erfolg des nächsten Quartals fragt, sondern die Daseinsvorsorge für Gesellschaft und Unternehmen im Blick haben. Das ist etwas, was man manchmal aus dem Blick verliert, wenn man nur die großen börsennotierten Unternehmen sieht.
Und was sind die größten Hürden?
Prof. Zenner: H2-Wandel ist ja ein Demonstratorprojekt. Die Hürden sind sozusagen der Projektgegenstand, damit andere von unseren Erfahrungen in Zukunft profitieren können und wie beim Fußball oder anderen Sportarten auch, ist die nächste Hürde immer die größte. Anfangs hielten wir die Genehmigung für die größte Hürde, aber guter Wille und gemeinsamer Wissensaufbau auf allen Seiten hat diese Hürde schnell schrumpfen lassen. Der erste Elektrolyseur im Projekt ist nach vier Monaten genehmigt worden. Aktuell plagt uns die heterogene Marktsituation für Kleinelektrolyseure. Die Höhe und Qualität der aktuellen Angebote hat uns, freundlich formuliert, überrascht. Während sich bei größeren Anlagen (>10 MW) schon langsam ein Markt etabliert, wird „der Markt“ der Kleinanlagen (<500 kW) noch von Enthusiasten, Glücksrittern und Trittbrettfahrern dominiert. Da den richtigen Partner und das richtige Konzept zu finden, ist schwierig. Aber auch da werden künftige Akteure von unserer Erfahrung profitieren.
Wie ist die Resonanz der Öffentlichkeit? Wer interessiert sich besonders für Ihre Arbeit?
Prof. Zenner: Die Bürgerdialoge, die wir führen, sind gut besucht, und es gibt eine positive Grundstimmung. Interessant ist, dass die Teilnehmer meist so alt sind, dass sie den Folgen des Klimawandels eigentlich gelassen entgegensehen könnten. Hier muss man aber aufpassen, dass man nicht seine eigene „Bubble“ der Wasserstoffenthusiasten für die Welt hält. Wenn wir in die Schulen gehen, bekommen wir ein differenzierteres Bild, da die Schüler ja da sein müssen. Da gibt es auch viel Interesse und eine grundsätzliche positive Haltung zum Wasserstoff und zu erneuerbaren Energien im Allgemeinen. In dieser Altersgruppe scheint es eher für die Skeptiker schwer zu sein, ihre Bedenken zu artikulieren, weil sie nicht zum Mainstream gehören. Das ist eine klare Änderung, wenn ich an meine Schulzeit denke.
Wagen wir einen Blick in die Zukunft: Wo sehen Sie das Thema Wasserstoff im Jahr 2050? Welche Rolle wird H2 dann im Alltag spielen?
Prof. Zenner: Im Jahr 2050 wird in Europa produzierter Wasserstoff über Elektrolyseure und Brennstoffzellen das Stromnetz stabilisieren und entlasten, den Produzenten von Erneuerbaren Energien eine Absatzmöglichkeit für Überschüsse bieten und Ländern mit hoher Kernenergiequote die notwendige Flexibilität in der Stromerzeugung geben. Die Chemische Industrie wird importierten Wasserstoff als Grundstoff einsetzen, wo heute noch Erdöl und Erdgas genutzt wird. Teile der Mobilität werden Wasserstoff als Treibstoff nutzen - und der beliebte Gasgrill wird mit Wasserstoff betrieben. Wir werden Wasserstoffanlagen in allen Größenordnungen sehen, und Europa wird diese Technologie in Erdregionen exportieren, die erst zum Ende des Jahrhunderts (China, Indien), die Entkarbonisierung planen, und damit Wertschöpfung und Wohlstand in Europa sichern. Oder es kommt alles ganz anders! Spannend bleibt es auf alle Fälle.
UND, GANZ GANZ WICHTIG: Unser Leuchtturmprojekt H2-Grid hat natürlich - abgesehen von der Hochschule Reutlingen - noch weitere engagierte Partner (allesamt Mitglieder bei uns!!!) mit im Boot oder unter dem Dach des Leuchtturms, um im Bild zu bleiben. Mit dabei sind die Technische Hochschule Ulm, die Hochschule für Forstwirtschaft in Rottenburg am Neckar, Stadtwerke Tübingen, FairEnergie GmbH (Reutlingen), Stadtwerke Mössingen, die Stadtwerke Rottenburg am Neckar und die Green Innovation Park GmbH & Co. KG.
Zu guter Letzt: Die Hochschule Reutlingen ist auch in der WOCHE DES WASSERSTOFFS 2024 mit Veranstaltungen vertreten. Was, wo, wann? Einfach mal in den Kalender schauen! https://www.wochedeswasserstoffs.de/ Dieser Beitrag entstand in freundlicher Zusammenarbeit mit H2-Wandel. Weitere Informationen zu H2-Wandel und den Projekten sind hier zu finden: https://h2-wandel.de/